This forms part of CAGE’s report Operation Luxor: Unravelling the myths behind Austria’s largest ever peacetime police raids
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Als Fatima Jahre zuvor zum ersten Mal von Polizeirazzien hörte, hatte ihr Vater sie gewarnt, dass es sie eines Tages auch treffen könnte, da sich die islamfeindliche Agenda der Regierung immer stärker manifestierte .
Am Tag des Anschlags in Wien am 2. November war dies ein Gedanke, der Fatima einholte. Die Islamophobie würde in Österreich zunehmen, so viel war ihr klar. Würde die Polizei das auch zum Vorwand nehmen, um jetzt eine Hausdurchsuchung bei ihr durchzuführen?
Ein Tag vor der Razzia hatte ihr Bruder im Haus eine Geburtstagsfeier mit Familie und Verwandten abgehalten. Fatima beschrieb die Zeit kurz vor der Razzia als sehr surreal – Eine Welt, die weit entfernt war von dem, was danach kam.
“Es waren 30 Polizisten im Haus”
Das Erste, woran sie sich am Tag der Razzia erinnerte, war, dass ihre Mutter hereinkam und sagte: „Die Polizei ist da.“ Am anderen Ende des Flurs standen BeamtInnen mit kugelsicheren Westen und Militärgewehren, die auf Fatima gerichtet waren.
Alles kam ihr vor wie in Zeitlupe: Sie konnte zwar erkennen, dass die Polizisten schrien, aber nicht hören was konkret. Im Nachhinein fand sie es am erstaunlichsten, wie fokussiert sie inmitten des Chaos war.
Sie hörte, wie ihre Mutter die Polizei anflehte, sie zurück ins Schlafzimmer gehen zu lassen, um “ihr Baby zu holen”. Die Waffe war auf ihre Mutter gerichtet und Fatima rechnete damit, dass der schwerbewaffnete Polizist jederzeit abdrücken würden.
Insgesamt waren 30 Polizisten im Haus, darunter auch Spezialeinheiten, die sich im Wohnzimmer verteilten, während 20 weitere PolizistInnen, außerhalb des Hauses die Straße verbarrikadierten.
Fatima ärgerte sich darüber, dass BeamtInnen ständig auf den Gebetsteppich traten. Es ärgerte Fatima so sehr, dass sie sich bei ihr dafür entschuldigten – Doch das Hauptproblem blieb bestehen: Nämlich dass sie überhaupt bei ihr Zuhause waren. Zu Dutzend. In kugelsicheren Westen. Mit Sturmmasken und Gewehren. In aller Frühe, ohne anzuklopfen, ohne Erklärungen.
Dann entfernten die PolizistInnen den Gebetsteppich, weil sie nicht aufhörte, sie darauf anzusprechen.
Um ihren jüngeren Bruder abzulenken, fing Fatima an, über einen Zeichentrickfilm zu sprechen – Aber er durchschaute ihre Bemühungen bald und begann zu weinen. „Werden unsere Eltern jetzt verhaftet?”, fragte er. Als Fatima gestand, dass sie das nicht wüsste, fragte er: „Wenn sie unsere Eltern wegnehmen, muss ich dann ins Kinderheim?“.
In diesem Moment wurde Fatima klar, dass ihr Bruder schon eine Weile darüber nachgedacht hatte, vielleicht schon vor der Razzia. Sie tröstete ihn mit den Worten: „Nein, ganz sicher nicht, wir haben viele Verwandte, die hier sind und wir bleiben auf jeden Fall eine Familie.” Ab diesem Zeitpunkt beruhigte er sich und hörte auf zu weinen.
Entreißen der Würde
Die DurchsuchungsbeamtInnen ließen der Familie kaum Würde.
Als Fatima von einer Polizistin zur Toilette begleitet wurde, drehte sich die Polizistin weg, hörte aber zu, während sie auf der Toilette war. Fatima hatte das Gefühl, dass sie die ganze Zeit von einem Wachhund begleitet wurde.
Während der Razzia ließen die BeamtInnen die Haustür offen – und das mitten im Winter – sodass Fatima fröstelte und schwitzte. Sie fragte sich, ob dies eine absichtliche psychologische Taktik war, um sie zu verwirren.
Nach einer Weile fragte Fatimas Vater: „Können meine Kinder sich anziehen gehen?“
Die Kinder durften sich nur einzeln und in Begleitung von PolizeibeamtInnen umziehen. Als Fatima in ihr Zimmer ging, schien die begleitende Polizistin verwundert zu sein, wie normal Fatimas Zimmer war. Dies verärgerte Fatima, die bis zu diesem Zeitpunkt die Kommunikation mit den BeamtInnen auf ein Minimum beschränkt hatte, um ihnen keinen Grund zu geben, gegen sie vorzugehen.
„Das ist doch ein ganz normales Zimmer, oder?”, fragte sie die offensichtlich verwirrte Polizeibeamtin bissig. Die Frau nickte überrascht, woraufhin Fatimas aufgestaute Frustration zum Vorschein kam: Sie war mit 5 Jahren aus Bosnien gekommen und befand sich seither in einer Identitätskrise, die durch die islamfeindliche Politik Österreichs noch verstärkt wurde, sodass sie sich immer wieder fragte: „Gehöre ich hierher? Bin ich Österreicherin?”.
Fatima war wütend. „Ich bin von hier, meine Freundinnen sind hier, ich lebe hier und ich versuche, mein Leben hier zu leben, wie jeder andere Mensch hier auch – und nach all dem stürmen Sie mitten in der Nacht unser Haus und warum? Weil Sie denken, Sie werden etwas finden, ich weiß nicht was. Und Sie geben sich nicht einmal die Mühe, nach den Dingen zu fragen, die Sie offenbar suchen.” Daraufhin verstummte die Frau, und Fatima begann zu weinen.
Nach allem, was man ihr angetan hatte, sollte sie sich in Österreich zugehörig fühlen, als ob es für sie als Muslimin in Österreich “normal” wäre.
Wappnung für eine weitere Razzia
Die BeamtInnen ließen das Arbeitszimmer von Fatimas Vater verwüstet zurück – Er lernte Arabisch, das interessierte die BeamtInnen enorm. Sie fotografierten alles im Zimmer, ehe sie alles beschlagnahmten, inklusive auch alle Mobiltelefone im Haus.
Dann musste ihr Vater zu einem zehnstündigen Verhör auf die Polizeiwache, und die Familie wurde im Unklaren über sein Schicksal gelassen.
Erst nachdem die BeamtInnen gegangen waren, brachen Fatimas Müdigkeit und Traurigkeit über sie herein. Sie fühlte sich, als wäre ein Panzer über sie gefahren.
Fatimas Verwandte und die Gemeinde unterstützten sie und ihre Familie, was Fatima als sehr wichtig empfand, vor allem direkt nach dem Einbruch in ihr Haus.
Im Nachhinein war sie so dankbar, dass sie nicht allein war.
Die Stille und die Atmosphäre im Haus waren so erstickend und erdrückend für sie, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte, sie konnte in diesem Moment nichts tun. Sie war dankbar, dass Verwandte da waren, dass sie redeten. Sie schlief im Wohnzimmer und hörte die Stimmen im Hintergrund. Es gab ihr Trost, dass sie nicht allein war.
In der ersten Nacht nach der Razzia konnte sie weder in ihr Zimmer gehen noch darin schlafen. Sie schlief im Wohnzimmer und wurde von lebhaften Albträumen heimgesucht, die so stark waren, dass sie sich selbst wach hielt, weil sie sich immer wieder eingebildete Stimmen und Schritte zu hören. Fatima war nervös und erschöpft vom Schlafmangel, und sie redete sich ein, dass es eine zweite Razzia geben würde.
Sie ging ins Wohnzimmer und wartete bis 3 oder 4 Uhr morgens auf die zweite Razzia. In diesem Moment merkte sie, dass sie nicht kamen, und sie schlief ein – Für ein paar Stunden, aber nicht mehr. Es hat lange gedauert, bis sie wieder in ihrem eigenen Zimmer schlafen konnte. Sie hatte vorher auf der Couch des 12-jährigen Bruders geschlafen.
Eine weitere Sache ist ihr von der Razzia geblieben: Ein Gefühl der Panik, wenn sie auf der Straße Polizei sieht. Das hat sich inzwischen etwas gebessert, jedoch in den ersten Monaten nach der Razzia war dies sehr stark. Wann immer sich ein/e PolizistIn ihr auf der Straße oder in der Nähe des Hauses näherte, fing sie an zu weinen und bekam keine Luft mehr. Und das hörte erst auf, als die PolizistInnen weg waren.
Image used courtesy of Flickr/puzzleyou
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